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Gedankenbrause und der Dreizehnte.

Ich bin beunruhigt. Seit letzter Woche überschlagen sich die Informationen, Konsequenzen, alles muss so schnell wie möglich entschieden werden, aus "Je suis Charlie" wird "Je suis en terrasse" – ich bin beunruhigt. Ist dies, weil andere Gehirne schneller vorangehen als mein zuweilen Haselnuss grosser Verstand? Um all die Gedanken zu sortieren, schreibe ich sie auf, denn Papier ist mir in solchen Momenten das vertrauteste Ohrenpaar.

Ich fühle mich als würde ich auf einem explodierenden Fass sitzen. Ich bin müde. Es waren zu viele Worte in den vergangenen Tagen, zu viele Meinungen, Hintergründe, Zahlen, Blutgruppen – es war zu viel. Und ich verstehe nicht. Etwas Grausames ist geschehen, hier in der Stadt in der ich lebe. Die ich liebe. Aus tiefstem pochendem Herzen. Dieses geschieht jeden Tag irgendwo auf der Welt. Und auch wenn ich ein sehr mitfühlender Mensch meine zu sein, drückt der Schuh enger auf der Kehle, wenn solche Akte vor der eigenen Haustür passieren.

Meine Stirn liegt in Falten, ein Kloss ist im Hals, wenn ich an all die Menschen denke, die plapprig an einem Freitagabend über Claire, die Buchverwalterin herziehen oder sich die Woche von den Schultern tanzen wollten und plötzlich ihr Leben verloren. In einer Sekunde auf die Andere. Es schmerzt, die Vermisstenanzeigen zu sehen, von Menschen zu hören die Angehörige verloren haben... Jeder kennt jemanden, der oder ist selbst betroffen.

Und nun werden Konsequenzen gezogen. Die Menschen sind ängstlich, panisch, hysterisch oder versuchen all diese unsicheren Gefühle hinter einem "Ach mir geht es gut, los lasst uns feiern!" zu verstecken. Aber, sollten wir nicht innehalten? Ich meine nicht stehenbleiben und uns unter Decke verstecken, aber überlegen, was hier passiert. Uns Fragen stellen.

Wer sind jene, die einfach Waffen zücken? Wie viele sind sie? Worauf baut sich ihre Ideologie? Was macht sie so wütend? Was an dem Wert der Freiheit ist ihnen nicht recht? Wie haben sie sich entwickelt, aufgebaut? Wo wollen sie hin?

Was wollen wir? Was in unserem Verhalten berechtigt Selbstjustiz? Wie wollen wir vorgehen?

Persönlich halte ich es für gefährlich, sich vor eine Kamera zu stellen und einen Krieg gegen eine Gruppe zu erklären, die sich nur durch blutrünstige Taten definiert, von denen wir kaum etwas wissen. Auch befürworte ich es nicht, Menschen aus dem Land zu verweisen, aufgrund ihrer radikalen Gedanken. 1. Wo sollen sie dann hin? 2. Wird das nicht ihre Wut erst recht anstacheln? 3. Was passiert, wenn eine Menschenmenge Angst hat? Sie suchen den Grund, den "Feind" und können soweit gehen, selbst zu Waffen zu greifen. Verletzte, schwache Menschen sind wie zerschmolzene Lebkuchenherzen für geldgierige Versicherungen und vor allem, rechtsradikale, faschistische, aufhetzerische Gruppen. Sie kleben an jedem Wort. Wollen wir das? Wollen sie das – uns gegeneinander antreten lassen?

Heute Mittag im Supermarkt hat mich der Türsteher, der mich seit drei Jahren einmal pro Woche sieht und freundlich grüsst, panisch aus dem Laden getrieben, aus Angst es befinde sich eine Bombe in meinem Rucksack. Wenn ängstliche Personen brüllen und agieren, könnten wir uns bald in unkontrollierbaren Situationen wiederfinden.

Bomben auf syrische Städte abzufeuern, bringt unsere Werte nicht zum Brillieren. Gleiches mit gleichem vergelten (denn etwas anderes ist ein Waffeneinsatz nicht), ist nicht richtig. Das wissen wir. Haben wir studiert. Sollte uns bewusst sein. Natürlich sind wir wütend, geschockt und wollen dem ein Ende setzen, aber wenn beunruhigte Personen Bomben vom Himmel abwerfen und sogar einen Bodeneinsatz wollen, dann kann daraus kein Friedensvertrag werden. Wir haben es hier schliesslich nicht mit einem Land zu tun, das sich in seiner Alltagspolitik den humanitären Werten unserer Gesellschaft in den Weg stellt. Sie drücken sich nicht durch Schriften oder Zeitungsartikel aus und sie lassen sich erst recht nicht auf eine Region zusammenfassen. Sie sind überall. Pflanzen ihr Unkraut, verbreiten ihre Ernten, setzen sich in Autos und knallen Menschen nieder, als gäbe das ihnen ein Existenzrecht. Sie reden nicht. Sie handeln. Unkontrollierbar.

Was können wir tun? Versuchen, unsere Werte neu zu definieren. Und nicht durch tanzen oder "jetzt erst recht"-Motivationssprüche. Wer sind wir? Was macht uns aus? Wie können wir all diese Beine, auf denen wir stehen, stärker machen? Was ist die Sportart, die uns jeden Tag antreiben soll? Wie können wir unsere Art zu leben, weiter vermitteln? Was können wir Menschen sagen, die zweifeln? Wie sie beruhigen?

Wir müssen denken. Denken, denken, denken. Reden. Bewusst. Uns anderen anvertrauen.

Wir wissen nicht, was es heisst einen Krieg zu führen. Aber wir wissen, dass all das, was in unseren Geschichtsbüchern stand, uns Magenschmerzen bereitet hat. Wir wollen Familie, nette Nachmittage mit Freunden, Konzerte, guten Wein, sonnige Reisen, ein friedliches Miteinander? Dann fangen wir an, dafür einzustehen, uns zu überlegen, wie wir dies beibehalten können. Kritisch. Ohne blutige Wasserfälle.


Il était une fois ...

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