top of page

… im Norden ist sie nie zu sehen.

Ich sitze mal wieder im Zug. Ein fabelhafter Anlass um von meinem letzten Ausflug nach Lille zu berichten. Eigentlich wollte ich in einer Zeitschrift blättern um ein Interview über den Verfall der mediengesättigten Gesellschaft zu lesen, aber was soll’s – dafür ist die Rückfahrt da.

Im März war ich beruflich für eine Nacht in Lille und konnte das Grau am Morgen genauso wenig in Kauf nehmen wie den betonigen Ausblick aus dem Fenster des Frühstückssaals. Wie es der Zufall so wollte, musste einer meiner Herzmenschen dort daraufhin arbeiten. Also ab in den Zug und „Hallo Norden“. Wenn ich in eine andere Stadt fahre, versuche ich immer herauszufinden, ob es einen Film oder ein Buch gibt, in welcher der angestrebte Ort vorkommt. Dieses Mal war es ein Kinderspiel. „Bienvenue chez les Ch’tis“ – ein Film, den sicherlich viele von euch gesehen haben. Ich gab der Region, trotz des Streifens, eine Chance und packte ein Kleid ein. Schließlich war es in den Tagen zuvor in Paris wunderbar warm und Lille liegt nur eine Stunde davon entfernt.

Einmal angekommen und das gläserne Hochhausquartier verlassen, zog es unsere Füße gleich in das Zentrum, in die Altstadt. Sofort war ich hingerissen von dem nordischen Charme, den von Dekoration beladenen Häusern und den Fünftagebärten der Herren. Der Magen knurrte und wir ließen uns im Bellerose (8, rue Royale, 59000 Lille) nieder, dass wirklich fantastisch war und ich jedem nur empfehlen kann. Die Bedienung ist zwar ein wenig langsam, aber es war Freitagabend, da muss ein Kellner nicht wie eine Ameise durch die Gegend flitzen. Das Essen war dafür super und die Stimmung familiär, studentisch, urig, poppig. Dazu gutes lokales Bier.

Den Samstag verbrachten wir im Musée des Beaux Arts, als der Regen fiel. Die Halle ist wirklich prächtig und lädt ein dort einen Café zu trinken und sich malerisch zu fühlen. Die Sammlung ist sympathisch, auch wenn es so manche Kopien gibt, die aufmerksame Louvre-Besucher auf den ersten Blick entdecken können. Spaßig war die temporäre Ausstellung, in welcher Enten à Donald und Daisy Duck in berühmte Werke hineingeschnitten wurden. Merci Photoshop! So aß Donald mit Jesus und Goethe bekam einen Schnabel verpasst.

Nach so vielen eifrigen Pinselschwüngen besuchten wir eine Patisserie, schnabulierten gute französische Leckereien und suchten die Maison Coilliot auf. Seinem Architekt, Monsieur Hector Guimard, gebührt großes Lob für die Metroeingänge in Paris. Das Haus in Lille ist wirklich sehr hübsch und in selbigem Stil wie die unterirdischen Tore ins U-Bahn-Paradies.

Der Tag sollte ruhig in den kleinen Straßen der Stadt ausklingen, als wir, auf dem Weg zur Kathedrale, an einem Schmuckladen vorbeikamen. Meine weiblichen Leser werden das kennen; man ist mit jemandem unterwegs, läuft an etwas Bezauberndem vorbei und innerlich fängt an etwas zu sagen: „Hinein, hinein, hinein!“, doch die Politesse ruft: „Geh weiter, los beweg dich!“. Dann schaut man den Anderen an und sagt: „Nur ganz kurz, zwei Minuten, fünf Minuten höchstens!“. Eh oui… und schon ist man in eine Unterhaltung mit der Geschäftseigentümerin verstrickt und hat das Gefühl ihre beste Freundin zu sein. So war es auch in besagtem Moment. Der ephemere Laden heißt Apoi (7, rue du Cirque, und seine Architektin macht einfach bezaubernden Schmuck. Wenn ihr etwas für bunte Bohemien und verspielte Klitzigkeiten übrig habt, dann solltet ihr mal unbedingt einen Blick auf ihre Seite werfen: http://bijouxapoi.bigcartel.com/ . Es ist herrlich, ein wahrer Freudentaumel für jeden der dezente, aber kreative Accessoires mag. Ich bin begeistert! (Das war ich weitaus weniger von der Fassade der Kathedrale… zeitgenössische Kunst ok, aber ein marmorhaftaussehendes Gerüst, das sich auch noch bewegt, ist zu viel!)

Zudem kletterten wir an dem Tag noch auf den berühmten Beffroi, einen Wachturm, dessen 408 Stufen ich auslachte, als ich oben stand (und wieder Luft bekam)J. Die Aussicht ist schön und ich war von der Größe des Rathauses wirklich beeindruckt. Braucht es tatsächlich ein so großes Gebäude?! Wenn man da Madame Aubry sucht, braucht es wahrscheinlich einen guten (und aktualisierten) Lageplan.

Am Sonntag, dem Tag aller Tage, schien tatsächlich die Sonne! Schnell das Kleid drüber gezogen und los ging es. Allerdings war der Wind, dieser heimtückische Begleiter, nicht zu des Rockes Vorteil… Wir gingen in das Geburtshaus Charles de Gaulle um sein Taufkleidchen zu betrachten (und ganz entzückt von den Vorhängen zu sein). Der Audioguide, der einem an der Kasse förmlich aufgedrängt wird, enthält nichts, was Wikipedia und Co nicht auch in petto haben. Solltet ihr hingehen, nehmt den Informationszettel, das erspart viiiiiiel Gerede. Nicht weit davon liegt ein Park mit einem Militärlager, welches wir uns nur von außen ansehen durften. Es ist wirklich sehr hübsch und da schönes Wetter war, lud es zu einem kleinen Spaziergang ein (währenddessen die Lillianer durch die Gegend joggten. Bei weitem nicht so aggressiv wie die Läufer im Jardin de Luxembourg und dazu noch schneller!) Einen kurzen Stopp legten wir in einem kleinen Thairestaurant ein, dessen Besitzerin wirklich süß in ihrer Art war. Ich habe zwar nur die Hälfte von dem verstanden, was sie sagte, aber ihr Lächeln hat das wieder ausgeglichen.

Mit gefülltem Bauch fanden wir uns am Nachmittag im Tourismusbüro ein um an einer Führung durch das alte Lille teilzunehmen. Ich habe nun oft meine Zweifel mit solchen Aktivitäten, schließlich kann man einen Audioguide auf Pause stellen oder ignorieren, aber zwei Stunden lang in der Gegend zu stehen und mit Namen bzw. Zahlen attackiert zu werden (und das ohne Schutzschild oder Kekse), kann sich wirklich als Geduldsprobe entpuppen. Im Großen und Ganzen war sie gut gemacht, informativ. Allerdings hatte diese Studentin eine Angewohnheit, die mich fast auf den Beffroi befördert hätte: Sie stellte immer Fragen, wie zum Beispiel: „Und wissen Sie auch wer zu dieser Zeit König war?“ oder „Na und was war im Jahre 1066?“… Daraufhin folgte eine Pause, Schweigen, zögerliche Antworten und hurra, wir waren wieder in der 7.Klasse! Eine Frau schmiegte sich immer an ihren Mann, wenn dieser eine Frage richtig beantwortet hatte und schaute uns andere an wie: „Ja meine Damen, der gehört mir!“ (Deshalb hat sich auch niemand mit ihr unterhalten; aber ich sag ja bereits, wie in der Schule.).

Um unsere Füße und die Geduld zu belohnen, eroberten wir nach der Schulstunde eine Patisserie, die Les Merveilleux de Fred (67, rue de la Monnaie, 59800 Lille) herstellt. Solltet ihr jemals die Gelegenheit haben eine zu probieren, nehmt die kleine Variante und fragt vorher euer Herz was es von einem Überschuss Zucker und Sahne hält!

Der Abend endete mit wunderbaren Impressionen der Altstadt, die sich wirklich für einen Wochenendbesuch lohnt.

Alles in allem oder grosso modo, tat es gut mal in eine so deftig liebreizende Stadt zu fahren und sich von den farbigen Hauswänden und knalligen Sprüchen in einem herrlichen Dialekt einnehmen zu lassen. Der Wind dort mag frostig sein, die Mentalität allerdings bringt jedes Herz zum Kochen.

Also, packt die Gummistiefel, eine Mütze und Sonnenbrille ein und fahrt beschwingt heiter in den Norden.

Nächstes Mal wieder Paris. Promis!

A bientôt und fabelhafte Tage!


Il était une fois ...

© 2023 by The Book Lover. Proudly created with Wix.com

bottom of page