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Gummistiefel und ein Tutu.

Na, wenn das nicht mein Freund der Regen ist? Es scheint, als hätte er sich aus seinen Tropfen ein Boot gebaut und mit mir am letzten Montag den Ärmelkanal durchquert. Es schüttet britische nasskalte Kullern in Paris und das schon seit beinahe sieben Tagen! Wäre ich ein emotionales Bündel, würde mein Deprimiertseinbarometer wohlmöglich explodieren. Dazu lasse ich es aber nicht kommen und habe die letzte Woche, meine Ferienwoche, zwischen Teeverabredungen, Theater, Büchern und den bunten Wänden unserer Wohnung verbracht. Zudem hielt ich fast jeden Tag an einem Blumenladen und schnupperte an den Tulpen.

Wieder zurück aus dem lauten London, genoss ich das Alltagsgeschippere der Pariser, währenddessen ich ausschlief und meine funkelnigelnagelneuen Schuhe in den Schrank quetschte und HAIM hörte. Drei Schwestern, die mich seit ihrem Konzert in Paris im letzten Jahr, immer wieder auf den Parkettboden herumrutschen lassen.

Am Mittwoch machte ich die Bekanntschaft mit Odette und ihren Windbeuteln. Eine charmante Patisserie im 5. Arrondissement, deren Auslage man einfach nicht widerstehen kann. Mit Tee und ein paar Köstlichkeiten traf ich dort eine gute Freundin und wir ließen uns vom lokalen Ambiente einnehmen. Im Hintergrund lief Musik aus den 20er Jahren, ein paar französische Klassiker. Da der Salon in der ersten Etage nicht sehr groß ist, herrscht eine gewisse Gemütlichkeit. Die Gäste sagen sich untereinander herzlich „Bonjour“ und es scheint als sei man zum familiären Kaffeetisch eingeladen. Doch eine Frage stellten wir uns natürlich: Wer ist Odette? Ist es die Bedienung? „Nein“, erwiderte sie einem Gast, „ich bin nicht Odette“. Tatsächlich gehört dieser Name, der an den dramatischen Schwanensee erinnert, der Oma des Besitzers, die ihre Enkel gerne mit kleinen Windbeuteln verwöhnte. Einer dieser eröffnete die Patisserie in ihrem Gedenken und verköstigt nun seit zwei Jahren Schulkinder, Touristen, Vorbeilaufende und Einwohner.

In der 77, rue Galande, 75005 Paris zu finden und zu genießen.

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Das Wochenende verbrachte ich zum Großteil im Theater. Zum einen gab es am Samstag zeitgenössischen Tanz im Théâtre de Ville: Empty Moves des Balletts Preljocaj zu Musik von John Cage. Ausverkauftes Haus und eine stilles Publikum (normalerweise kommt man sich wie im Wartezimmer einer Arztpraxis vor). Versuchte ich zu Beginn noch krampfhaft soziale Notionen aus den Bewegungen herauszulesen und in allem eine Bedeutung zu sehen, ließ ich mich nach einer Weile von den vielen Rhythmen und der experimentellen Musik quasi hypnotisieren. Wie in Trance wurden die doppelt verknoteten Gedanken mit Schleifen aus den Ohren gezogen und die Augen sahen nur noch zu, begleiteten die Bewegungen. Ich kann nicht beschreiben, was auf der Bühne passierte; ich kann allerdings ermutigen hinzugehen, wenn ihr Freunde solcher Tanzerfahrungen seid.

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Am Sonntag überquerte ich dann die Seine, nahm die Métro, wurde von einer hysterischen Frau angebrüllt und hätte mir fast eine Ohrfeige von ihr eingeholt. Zen bleiben, du meine Güte ist das schwer, wenn das Herz bei einem solchen Verhalten wie ein Vulkan ausbrechen möchte! Einen solchen Ausbruch durfte ich dann aber auf der Bühne im Théâtre de l’Oeuvre bei Les Larmes amères de Petra von Kant (Die bitteren Tränen von Petra von Kant, ein Film von Fassbinder) miterleben. Allerdings, muss ich wirklich gestehen, berührte mich die Dame in der Métro mehr als das Bühnenspiel. Das Stück hatte einen eigenartigen Rhythmus, zu lange Pausen, die einem nicht erlaubten in die Handlung einzusteigen, oberflächlich vorgetragene Dialoge. Es ging zu wie im Zimmer einer wütenden Jugendlichen. Man verstand die Tränen, aber hätte lieber „bitter“ durch „lächerlich“ ersetzt. Die Schauspielerin Lolita Chammah versuchte den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Ihr stummes, aber durchaus expressives Spiel hatte tatsächlich mehr Einfluss auf den Zuschauer, als die kreischende Petra. Alles in allem kein Stück, welches zweimal zu sehen ist. Boulevardtheater, oh la la!

Hinzu kam ein Gedanken, der mich nun schon seit Tagen beschäftigt. Sollten zeitgenössische Stücke in italienischen, barocken Theatern präsentiert werden? Ich werde das Gefühl nicht los, dass der Kontrast zwischen Handlung und Saaldekoration es dem Zuschauer schwer macht zu 100% in die Dialoge einzusteigen. Natürlich kommt es auch auf die Bühnengestaltung, die dramatischen Leistungen der Schauspieler an. Jedoch bleibt die Frage bestehen… Das Theater wird seit ein paar Wochen wieder ernst genommen und hat erneut seinen Platz im Kalender gefunden. Die Hände haben wieder Lust zu applaudieren!

Und nun ist eine neue, etwas ruhigere Woche. Der Urlaub sickert in den Boden und der Kopf darf wieder am Tage professionell produzieren.

A bientôt !


Il était une fois ...

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